Die Zerrissene Seele: Eine Analyse von Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „Zum Abgewöhnen“

Inwiefern reflektiert das Gedicht „Zum Abgewöhnen“ von Hans Magnus Enzensberger den inneren Konflikt des Sprechers als Metapher für die Komplexität der menschlichen Psyche?

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Die Worte von Hans Magnus Enzensberger entfalten sich in einem Gedicht von bemerkenswerter Tiefe und Vielfalt. Zunächst scheint der Sprecher eine Beziehung zu schildern. Die Erzählstimme verweist auf eine Frau. Sie wird als sensibel bezeichnet. Ein scheeler Blick, eine Absage – dies sind Worte die Emotionen der Verletzlichkeit und Misinterpretation transportieren. Und doch – hier beginnt das eigentliche Spiel: Der Sprecher der vermeintliche Ehemann, rückt in den Hintergrund. Versteckt hinter seinen Äußerungen offenbart sich eine tiefere Wahrheit.

Zahlreiche Deutungen schwirren durch das Gedicht. Zuerst gewähren wir Einblicke in die Wechselwirkungen einer Beziehung. „Die Ärmste“ – diese abwertende Einschätzung zeigt eine gewisse Distanz. Hier wird leicht offenkundig – dass sich der Sprecher über seine Partnerin erhebt. Für ihn ist der Zustand des Unglücks nur ein kleines Übel. Doch sein narzisstischer Blickwinkel hat seine eigenen Tücken. Die Erzählperspektive vermischt Männlichkeit und Weiblichkeit was Enzensberger elegant inszeniert.

Einige Strophen entfalten sich um das „Sensibelchen“ ausführlich zu charakterisieren. Deren Empfindlichkeiten werden als Schwäche dargestellt. „Sie ist weich im Nehmen“ – doch wie oft haben wir uns selbst in der Position des sensiblen Wesens befunden? Wenn der Sprecher anmerkt: Dass sich die Partnerin schnell gekränkt gibt erkennen wir die Abgründe die solch eine psychische Dynamik birgt. Die Emotionalität ´ die hier beschrieben wird ` zeigt die Anfälligkeit der menschlichen Psyche.

Entscheidend ist der Bruch in der Darstellung. Plötzlich bockt die passive Figur „und will nicht“. Diese plötzliche Wendung überrascht. Der Frauencharakter verkörpert fortan eine Nörglerin deren ständige Klagen dem Sprecher auf die Nerven gehen. Hier brodelt Ehekrise und Stillstand durch die Zeilen. Verwilligte Versprechen, „bis dass der Tod uns scheide“ – die uneingeschränkte Bindung wird zum Gefängnis.

Der zentrale Kniff des Gedichtes jedoch ist: Dass es nicht nur um eine Beziehung zwischen Mann und Frau geht. Der 🔑 zur Interpretation ist das Subjekt, das hier spricht: Es handelt sich um eine Person die sich im inneren Dialog befindet. So wird das „Ich“ des Sprechers zum Symbol einer zerrissenen Seele die mit sich selbst ringt. Betrachtet man neues philosophisches Denken – wie Richard David Precht es in seinem Bestseller „Wer bin ich - und wenn ja, ebenso wie viele?“ thematisiert, so fällt auf: Die Beziehungen innerhalb ourselves sind komplexer wie es das äußere Bild vermuten lässt.

Der Sprecher fragt sich: „Wer bin ich?“ In der Reflexion werden die inneren Konflikte die Fragen nach der Identität und der wahren Natur des Selbstausdrucks laut. Streng genommen ist diese „Nörglerin“ nicht die bockige Ehefrau. So erscheint sie vielmehr als das eigene, ungelöste innere Kind – unzufrieden und leidend. Es wird eine Verbindung zu Brecht deutlich. Sowohl Sprechende sowie allgemeine Subjekte sind nicht monolithisch – sie sind heterogen.

Der Schluss des Gedichts bleibt offen – vielleicht gewollt. Das Darstellen psychischer Abgründe leitet sich vom kreislaufartigen Moment ab, das immer wiederkehrt. Der Gedichtausgang deutet die Kluft zwischen dem was öffentlich erwartet wird und dem was intern brodelt. Der Leser wird in eine scheinbar klare Welt hineingezogen und sieht, dass im Innersten Unverständnis herrscht.

Von Weisen die den eigenen inneren Kind vermissen, bis hin zu den bockigen Seelen – Enzensberger hat es geschafft die Einfachheit menschlicher Beziehungen so dermaßen zu hinterfragen, dass die Antwort „Niemand versteht sich selbst wirklich“ stehen bleibt. Der Dichter thematisiert grundlegende Fragen unserer Existenz und schafft es somit, uns zum Nachdenken anzuregen.

Ein eindringliches Gedicht das durch seine Brillanz besticht. Ein dichter Mikrokosmos von Menschlichkeit ´ der die Leser anregt ` ihre eigenen inneren Konflikte zu reflektieren. Wie sehen Sie sich selbst im Spannungsfeld zwischen Selbstverständnis und Fragmentierung? Schauen Sie ebendies hin – die Antwort könnte Sie überraschen.






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