Warum tragen englische richter anwälte staatsanwälte perücken

Englische Perücken In England ist manches von Charell inszeniert, u. a. das ›Weiße Rößl‹, die Truppenschau und die Gerichtspflege. Wenn das matte Tageslicht von oben auf den rotgekleideten Richter fällt, vereinen sich die braunen Tische, die weißen Perücken der Gerichtspersonen, die Talare und alle Farben zu jener seltsamen Harmonie von Gedämpftheit, die das englische Landschaftsbild auszeichnet, ein leiser Vielklang. Jede Justiz verkleidet sich. Die Verkleidung besagt, wo immer wir sie antreffen: hier spricht nicht eine Privatperson, sondern ein Instrument des Staates, etwas sozusagen Unpersönliches. Daß es das nicht gibt, ist eine andere Sache – Standesuniformen unterstreichen allemal die Bedeutung des Standes, und machen eine menschliche Handlung zu etwas, was den Alltag überragen soll. Daher tragen der englische Richter und der englische Anwalt eine Perücke. Selbige ist aus Roßhaar und kostet etwa sieben Pfund. Kleine Löckchen sind in sie gedreht, beim Richter sind es wohl einige mehr als beim Anwalt. Es ist nicht jene Art von Perücke, wie wir sie beim Mister Speaker im Unterhaus sehen – die fällt auf beiden Seiten lang herunter. Die richterlichen Perücken sind kleiner und beinahe zierlich. Perücken 1931 – das ist eine merkwürdige Sache. Wenn sich Menschen in historische Gewänder ihres Volkes stecken, dann gibt es zweierlei Möglichkeiten: sie sehen unsagbar lächerlich aus, oder aber das Kostüm hebt das Gesicht der Rasse. Mit den Ritterrüstungen ist das meist so eine Sache; die Tracht des achtzehnten Jahrhunderts, von Franzosen getragen, zeigt zum Beispiel, wieviel ungekannte Hofleute noch unter ihnen wandeln, wieviel witzige Barbiere; wieviel geschmeidige Köche und galante Abbés. im Zivil ist das kaum zu sehen. Die englische Gerichtsperücke hat vielerlei Wirkungen auf ihre Träger. Ich bin durch viele Säle der Courts gegangen. Manchen Richtern hilft die Perücke gar nichts. Sie haben sich das Ding übergestülpt und sehen nun aus wie der Dorfrichter Adam; die Perücke sitzt hilflos da oben und hat überhaupt keine Beziehungen zum Träger. Sie mag ihn nicht. Und er bleibt unter ihr ein sicherlich höchst ehrenwerter Herr Jones oder Smith, aber weiter auch gar nichts. Bei anderen aber arbeitet der Roßhaardeckel erst etwas heraus, was bei ihnen im Gewand des Bürgers, ohne Talar und außerhalb des Gerichts, vielleicht nicht zu sehen ist: die Gesichter werden in einem Maße englisch, scharf und charakteristisch, dass es beinahe wie inszeniert aussieht. Zu gut, denkt man; das kommt im Leben eigentlich nicht vor. Es kommt vor. Der untere Rand der Perücke schneidet oben an der Stirn so scharf ab, dass manche Gesichter wie aufgesetzte Masken aussehen – man möchte die Gesichter abreißen und das darunter liegende Gesicht sehen. Das Richtergesicht lächelt freundlich und spricht begütigend; nachher wird es etwas sagen, und dann wird einer aufatmend nach Hause gehen, oder lange Jahre in einer kleinen Stube sitzen. Übrigens darf man diese Mützchen nicht von hinten sehen – darauf ist die Sache nicht eingerichtet. Einmal stand ich hinter einem plädierenden Anwalt, und die Perücke hob sich hinten ein wenig, und da kam das zivile Haar zum Vorschein, da ist dann gar nichts mehr von Würde der Gerichtsperson und dergleichen: unter dieser Perücke sitzt das, was Auto fährt und durchaus von heute ist. Manche Perücken wachsen nach innen. Haben diese Perücken auch einen Zopf –? Es gibt eine so schöne Redensart im Berlinischen: »Das kann man von der Stadtbahn aus nicht sehn!« – Ich sitze vorläufig in London noch auf der Stadtbahn, sehe die Perücken an und schweige. Peter Panter Vossische Zeitung, 23.06.1931, Nr. 290. Tucholsky - England: Englische Perücken

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Warum tragen englische Richter, Anwälte und Staatsanwälte Perücken?

Perücken in England Der Muff von 300 Jahren
13.05.2008, 17:56 2008-05-13 17:56:00
Von Marten Rolff
Ende einer Tradition: An englischen Zivilgerichten werden Perücken und alte Talare abgeschafft. Die Richter sind damit nicht einverstanden.
Ohne ein paar Seitenhiebe, soviel war vorher klar, würde man dieses Outfit nicht präsentieren können.
In voller Montur: Englands Richter lieben ihre Perücken. Und so war das Foto, auf dem Seine Ehren Lord Phillips of Matravers, Englands oberster Rechtsprecher, die neue Amtsrobe für die Richter seines Landes vorführt, in britischen Medienberichten neben dem Bild von Raumschiff-Enterprise-Kapitän Jean-Luc Picard zu sehen.
Ironischer Tenor der unterstellten "Ähnlichkeit": Sie mögen mit diesem Aufzug in völlig unbekannte Welten aufbrechen, aber verkleidet sind sie noch immer.
Vom ersten Oktober an werden die meisten Richter in England und Wales mit einer mehr als 300 Jahre alten Tradition brechen: Sie sollen an Familien- und Zivilgerichten, also für die Mehrzahl der Prozesse, ihre altertümlichen Talare gegen ein deutlich schlichteres Modell austauschen sowie ihre kunstvoll aufgedrehten, schulterlangen Rosshaar-Perücken absetzen.
Ein Aufzug, der selbst im detailverliebten England inzwischen von vielen als einschüchterndes Tralala gewertet wurde, als Beweis für den Snobismus einer Kaste, die mit dem gemeinen Volk, über das sie urteilte, möglichst wenig gemein haben wollte.
Diese Einschätzung spiegelte bereits das Ergebnis einer Umfrage vor fünf Jahren wider, in der Englands Bürger zu 64 Prozent der Meinung waren, dass dem Justizpersonal eine realitätsnähere Tracht guttäte. Ein Urteil, das Richter, Staatsanwälte und Anwälte nicht teilten: Mehr als zwei Drittel von ihnen sprach sich damals dafür aus, Perücken und Traditionstalare beizubehalten.
Volksnahe Kleidung von Betty Jackson
Die neue Dienstrobe und der Perückenverzicht bei Zivilprozessen, ist daher nicht nur als Ergebnis langer Diskussionen, sondern auch als Kompromiss zu werten. Denn einerseits hielt es auch Lord Phillips, der den Beschluss im Juli 2007 durchgeboxt hatte, für nicht mehr zeitgemäß, dass Richter vor jedem Urteil in der Verkleidungskiste wühlen. Andererseits wollte sich auch der ranghöchste Jurist dem Argument nicht verschließen, dass die Perücke bei aller Verstaubtheit dazu beiträgt, die Anonymität eines Richters zu wahren und diesen zu schützen.
Bei Strafprozessen werden die Richter daher weiter in alter Robe und mit Perücken Recht sprechen und so das Risiko verringern, dass unzufriedene Verurteilte sie später ausfindig machen. Abgeschafft wird bei Strafprozessen allerdings der Sommertalar, künftig muss die Winterrobe reichen, was auch den Steuerzahler entlasten wird: Sämtliche Neuerungen sollen jährliche Einsparungen in Höhe von 200000 Pfund bringen.
Sparsam und politisch sehr korrekt ging man auch bei der Auswahl der Designerin vor. Betty Jackson ist nicht nur Britin und war schon "Designer of the year", sondern weiß als langjährige Stil-Beraterin der Klamottenkette Marks & Spencer auch, wie volksnahe Kleidung auszusehen hat. Ihre aktuelle Sommerkollektion mit klaren Schnitten, edlen Stoffen und dezenten Farben ist der Revolution ganz unverdächtig.
Einziger Aufreger: so genannte Kung-Fu-Stilettos mit schweren Absätzen. Jackson hat die neue Amtsrobe ohne Honorar und in Absprache mit einem Richter-Gremium kreiert. Bei dem reduzierten Talar beschränkte sich die Designerin auf diskrete Bänder, je nach Rang in Gold oder Rot, für die beiden höchsten Richtergrade. Rangniedere Chargen müssen künftig nicht nur auf den bislang üblichen Flügelkragen sondern auch auf jeden Schmuck verzichten.
Ganz im Gegensatz zu den englischen Anwälten, die möglicherweise auch in Zukunft mit Perücke und im alten Putz vor barhäuptigen Richtern sprechen. Deren Standesvertretung, der Bar Council, hat zwar bereits im vergangenen Sommer Fragebögen verschickt und zweimal zum Thema getagt. Eine Entscheidung steht aber noch aus. Zuletzt war zu hören, man würde gern alles beim Alten lassen.
Perücken in England - Der Muff von 300 Jahren - Panorama - Süddeutsche.de
Jede Justiz verkleidet sich. Die Verkleidung besagt, wo immer wir sie antreffen: hier spricht nicht eine Privatperson, sondern ein Instrument des Staates, etwas sozusagen Unpersönliches. Daß es das nicht gibt, ist eine andere Sache – Standesuniformen unterstreichen allemal die Bedeutung des Standes, und machen eine menschliche Handlung zu etwas, was den Alltag überragen soll. Daher tragen der englische Richter und der englische Anwalt eine Perücke.
Tucholsky - England: Englische Perücken
Roben der Welt
Juristen tragen in vielen L�ndern der Welt vor Gericht als “Berufstracht” eine Robe. Angeblich geht das auf das Jahr 1694 in England zur�ck. In Deutschland wird diese einheitliche Bekleidung der Juristen auf eine angebliche Anordnung des K�nigs Friedrich Wilhelm I. von Preu�en zur�ckgef�hrt, der f�r die Gerichte Preu�ens im Jahr 1726 angeordnet haben soll:
Wir ordnen und befehlen hiermit allen Ernstes, dass die Advocati wollene schwarze M�ntel, welche bis unter das Knie gehen, unserer Verordnung gem�� zu tragen haben, damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennt.
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ROBE - JuraBlogs | Seite 10
Die Geschichte der Robe, die an deutschen Gerichten getragen wird
Die Geschichte der Robe, Kabinettsorder anno 1726 - justiz-roben.de